
Schacht-wer? Die Ukrainer klingen noch ungewohnt in Fußballfanohren, gerade im Zusammenhang mit solch einem pompösen Begriff wie Champions-League-Viertelfinale. 11FREUNDE erklärt das Fußballwunder vom östlichen Rand Europas und macht es erstens, zweitens, drittens und viertens stammtischtauglich an einer knappen Hand voll Faktoren fest.
1.
Der Kapitän
Spieler wie Schachtjors Kapitän Darijo Srna (28) gehören zu den gefragtesten Fußballern überhaupt: Außenverteidiger mit Offensivdrang, erfahren, im besten Fußballalter. Der Kroate könnte wohl in jeder Liga der Welt spielen, würde immer zu den stärksten auf seiner Position zählen. Bayerns Uli Hoeneß nannte ihn mal einen Spieler, „mit dem wir uns beschäftigen“. Zu mehr ist es allerdings nie gekommen. Denn Srna gehört einfach nach Donezk.
Der Aufstieg des Klubs ist eng mit dem von Srna verbunden. Er galt im Jahr 2003 als eines der größten Talente seines Landes, wechselte dann mit 21 Jahren für 1,2 Millionen Euro von Hajduk Spilt nach Donezk. Eine Überraschung, schließlich neigen talentierte Kroaten eher dazu, nördlich der Heimat in der Serie A oder der Bundesliga den nächsten Karriereschritt zu gehen.
Dass Srnas Entscheidung goldrichtig war, bewiesen seine Erfolge und seine Entwicklung in den nächsten Jahre. 2005 feierte er seine erste von vier Meisterschaften, nahm an der WM 2006 und der EM 2008 teil. Nach dem Turnier in Österreich und der Schweiz übernahm er im Team der Italien‑, Deutschland- und Frankreich-Legionäre die Kapitänsbinde. Ein Ritterschlag. Der Höhepunkt seiner Karriere war dann der Sieg im UEFA-Cup-Finale gegen Werder Bremen 2009. Mit 147 Ballkontakten und einer unglaublichen Quote von 97 Prozent angekommener Pässe wurde Srna zum „Man of the Match“ gewählt. Dass er selbst diesen Erfolg nur als Zwischenetappe sieht, machte er nach der Erfolg gegen Rom im Champions-League-Achtelfinale klar. Auf mögliche Viertelfinal-Gegner angesprochen sagte er: „Es macht keinen Unterschied, auf wen wir treffen. Wir haben keinen Zweifel daran, dass wir weiterkommen können.“ Donezk will weiter marschieren. Und Srna geht voran.
2.
Die Brasilianer
Luiz Adriano, Jadson, Douglas Costa, Willian – im Rückspiel gegen den AS Rom wurde die Offensive komplett von Brasilianern gebildet. Dazu kommen noch der derzeit verletzte Fernandinho, der gegen Rom eingewechselte Alex Teixeira und der gebürtige Brasilianer Eduardo. Die schiere Masse zeigt: Schachtjor setzt auf Brasilianer. Der Erfolg zeigt: mit Recht.
Sergej Palkin (36), Geschäftsführer des Klubs, erklärte jüngst im Interview mit „transfermarkt.de“: „Das hat mit der Philosophie, die unser Trainer Mircea Lucescu verfolgt, zu tun. Die Südamerikaner spielen in der Offensive und zeigen schönen, technisch starken Fußball. Im Endeffekt bringt es zwei wesentliche Vorteile: Wir kommen zu sportlichen Erfolgen, und das schöne Kombinationsspiel gefällt unseren Fans.“
Wenn es denn auch klappt mit dem Joga bonito, stimmt das. Wenn nicht, macht sich schnell Unmut breit. „Nicht noch mehr Brasilianer!“, stöhnt ein Fan in Jakob Preuss‘ Schachtjor-Film „The other Chelsea“, ein anderer schwärmt von den Zeiten, als nur Spieler aus der Sowjetunion für den Klub spielten. Aber solange die Brasilianer für Erfolg sorgen, werden sie geduldet. Schachtjor scoutet auffallend gut, transferiert selten teure Reinfälle. Der Verein holt die Spieler in der Regel sehr jung, entwickelt sie dann nach seinen eigenen Vorstellugen. Die vielen Landsleute in der Mannschaft erleichtern den Start. Donezk ist für talentierte Brasilianer zu einer guten ersten Station in Europa geworden. Wenn die Spieler später weiterverkauft werden, dann meist mit Gewinn. Allein mit den Transfers von Brandao (Olympique Marseille), Elano (Manchester City) und Matuzalem (Real Saragossa) hat der Klub rund zehn Millionen Euro Überschuss erwirtschaftet.
3.
Der Trainer
Zu Beginn des neuen Jahrtausends versuchte Schachtjor es mit großen Namen auf der Trainerbank. 2002 kam Nevio Scala, im Jahr drauf Bernd Schuster. Der Durchbruch gelang Donezk aber erst, als 2004 der Rumäne Mircea Lucescu auftauchte. Lucescus Vita war schon da beeindruckend. Zweimal wurde er in seiner Heimat Meister, holte mit Galatasaray und Besiktas in der Türkei den nationalen Titel, in der Saison 1998/99 arbeitete er kurzzeitig sogar für Inter Mailand.
In der Ukraine wurde der heute 65-jährige Lucescu nach seinen Wanderjahren – in den zehn Jahren vor seiner Anstellung bei Donezk trainierte er sieben Vereine – wieder sesshaft. Und noch erfolgreicher. Viermal holte er in der Ukraine den Titel, dazu 2009 als Höhepunkt seiner Karriere den Uefa-Cup. Im Juli 2009 wäre die Erfolgsgeschichte fast tragisch zu Ende gegangen. Lucescu erlitt im Trainingslager in der Schweiz einen Herzinfarkt, musste operiert werden und fiel lange Zeit aus. Nach seiner Genesung kehrte er auf die Trainerbank zurück, hat aber bereits angekündigt, im Sommer 2011 seine Karriere beenden zu wollen. Geschäftsführer Palkin will ihn noch umstimmen: „Mircea hat schon öfter seinen Vertrag bei Schachtjor verlängert. Im Sommer werden der Präsident und der Trainer eine weitere Zusammenarbeit besprechen.“
4.
Der Präsident
Srna, die Brasilianer, Lucescu – sie alle wären nicht in Donezk, wenn es ihn nicht gäbe: Rinat Achmetow ist seit 1996 Präsident des Klubs und finanziert den Verein. Er gehört zu den reichsten Männern Osteuropas, verdiente seine Milliarden mit der Beteiligungsgesellschaft System Capital Management (SCM), die in vielen Branchen aktiv ist. Mehrere hundert Millionen Euro hat Achmetow bereits den Klub gesteckt. „Ohne unseren Präsidenten wären diese Erfolge nicht möglich“, sagt Trainer Lucescu.
Wie bei jedem Oligarchen ranken sich auch um Achmetow viele Gerüchte. Der Sohn eines Bergmanns soll sich früher in Sotschi als Hütchenspieler verdingt haben, in den Jahren seines Aufstiegs wurden ihm Kontakte zur organisierten Kriminalität nachgesagt. Seine Nähe zu Präsident Wiktor Janukowitsch und der daraus resultierender Einfluss auf die ukrainische Politik wird ebenfalls kritisch beäugt. Dass Janukowitsch mit den Spielern gemeinsam auf einer Bühne 2009 den Uefa-Cup-Sieg feierte und eine flammende nationalistische Rede hielt, war da Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker.
Das ultimative Ziel ist der Gewinn der Champions League. Auf dem Weg dahin haben Schachtjor und Achmetow im Viertelfinale die ultimative Hürde vorgesetzt bekommen: Der FC Barcelona kommt, mit Weltfußballer Messi, mit all den Weltmeistern. Natürlich ist Donezk Außenseiter, aber Vorsicht: Schachtjor gewann in der Champions League in den vergangenen schon zweimal gegen die Spanier. Das können nicht viele Klubs von sich behaupten.
Aber selbst wenn Barcelona diese Saison noch eine Nummer zu groß ist – Achmetow wird nicht ruhen, bis er den Pokal mit den großen Ohren in die Ost-Ukraine geholt hat. Erst dann ist sein Fußballwunder komplett.
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